Am Sonntag, den 18. August 1912 feierte die "vereinte evangelisch-protestantische Kirchengemeinde Offenbach" unter großer Beteiligung der Gemeindeglieder die Grundsteinlegung der Lutherkirche in der Waldstraße. Der Zeitzeuge und spätere Pfarrer an der Lutherkirche Arthur Müller erinnert sich in seinem Bericht über den Bau der Lutherkirche an die Grundsteinlegung:
(...) Heller Sonnenschein lag über dem festlich geschmücktem Platz, der schon vor 11 Uhr von Gästen und Gemeindegliedern ohne Zahl besetzt war. Bis zum Beginn der Feier um 11 ¼ Uhr hatten sich auch die Vertreter der obersten kirchlichen Behörde, des Dekanates, des Kreisamtes, der Stadt, sowie die Abgeordneten der übrigen Konfessionen und Vereine eingefunden. Mit dem Chorgesang der vereinigten Sänger und Sängerinnen vom Evangelischen Gemeindesingchor und gemischten Chor des Evangelischen Männervereins: "Lobt Gott getrost mit Singen" wurde der festliche Akt eingeleitet. Pfarrer Müller sprach den Eingangsspruch und Gebet und verlas die Worte des 46. Psalms "Gott ist unsere Zuversicht und Stärke". Dann stimmte die Festversammlung unter Posaunenbegleitung ein in das Lob- und Danklied: "Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit".
Die Festansprache hielt Pfarrer Fuldat, der Geistliche des Südbezirks. Er führte etwa folgendes aus:
"Wir empfinden es als eine freundliche Fügung unseres Gottes, dass es uns vergönnt ist, den Grundstein einer neuen evangelischen Kirche für den Süden und Südosten unserer Stadt zu legen. Wenn wir an die Zeit denken, in der dieses Gotteshaus, welches sich über diesen Grundstein erheben soll, in seiner Vollendung dasteht, möchten wir jubeln und danken und Gottes Namen preisen, dass auch der Süden und Südosten unserer Stadt eine neue geistliche Heimat und eine Pflanzstätte inneren persönlichen Lebens gefunden hat. Inneres persönliches Leben, das ist es, was den Menschen unserer Zeit not tut. (...)
"Wir empfinden es als eine freundliche Fügung unseres Gottes, dass es uns vergönnt ist, den Grundstein einer neuen evangelischen Kirche für den Süden und Südosten unserer Stadt zu legen. Wenn wir an die Zeit denken, in der dieses Gotteshaus, welches sich über diesen Grundstein erheben soll, in seiner Vollendung dasteht, möchten wir jubeln und danken und Gottes Namen preisen, dass auch der Süden und Südosten unserer Stadt eine neue geistliche Heimat und eine Pflanzstätte inneren persönlichen Lebens gefunden hat. Inneres persönliches Leben, das ist es, was den Menschen unserer Zeit not tut.
Niemand wird leugnen können, dass frisches Leben in unserer Zeit pulsiere. Wir leben in der Zeit des Dampfes. Fieberhaft wird heute gearbeitet. Die Maschine zieht den Menschen immer mehr in ihren Bann. Aber, wenn wir Ohren haben zu hören, hören wir aus dem Lärm der Maschinen ein leises Klagen. Wie so oft macht die immer gleichbleibende Arbeit an der Maschine gedankenlos und stumpf! Wie oft nimmt die atemlose Hast der Arbeit den Menschen die innere Ruhe, das Leben der Seele zu pflegen und macht sie gleichgültig gegen die höheren Güter des Lebens.
Wir stehen mit den Augen Jesu in der Welt. Jesus sah in den Verhältnissen seiner Zeit die Fußspuren von Gottes Liebe und Treue, er sah Gott an der Arbeit, das Reich Gottes heraufzuführen. Jesus war ein Mann der Zukunft, sie wollte er gestalten und formen! So sehen wir auch Gott heute am Steuer sitzen, die Welt dem herrlichen Ziele des Reiches Gottes entgegenzuführen.
Wir glauben an Gottes Güte und Treue, und weil wir an Gott glauben, glauben wir auch an die Menschen unserer Zeit. Wir verschließen uns nicht die Augen vor den tiefen Schäden und den großen Nöten, die die Entwicklung des modernen Lebens, die Erfindung der Maschine über die Menschen gebracht hat, aber wir glauben, dass es die Menschen lernen, sich zu recht zu finden und heimisch zu werden auch unter den veränderten Verhältnissen und ins innere Gleichgewicht zu kommen. Wir glauben an die Menschen, weil wir an die Kräfte des Evangeliums glauben, weil es unsere innerste Überzeugung ist, den Menschen in dem Evangelium das geben zu können, was sie brauchen und was ihnen helfen kann.
Deshalb bauen wir Kirchen und auch diese Kirche, deren Grundstein wir heute legen, soll diesem großem Ziele dienen. Sie soll eine Stätte sein, von der das Evangelium hineinfließt in die Herzen der Menschen und dadurch Menschenglück fördert und inneres persönliches Leben weckt. Wie alles Leben von Gott stammt, entzündet sich immer persönliches Leben nur in Verbindung mit Gott. Dieses Einssein mit Gott nennen wir Glauben. Glauben wir an Gott, so können wir uns auch als moderne Menschen froh und glücklich fühlen.
Luther ist es gewesen, in dem uns die ganze Herrlichkeit dieses Glaubens entgegenstrahlte. Luther war ein fröhliches Gotteskind. Gott war seine Freude und Wonne. Von ihm fühlte er sich geleitet und geführt. Auch in schweren Tagen wusste er sich in Gottes Schutz. Glücklich der Mensch, der wie Luther seines Glaubens froh geworden ist. Machen wir wie Luther ernst mit dem Gedanken: Gott ist unser Vater, dann muss uns ja das Herz voller Freude werden. Wir fühlen uns so leicht und so froh. Alles, was uns sonst das Leben verbittert, liegt tief überwunden zu unseren Füßen. Wir begeistern uns für Reinheit, Gerechtigkeit, Freiheit und Güte. Wenn dieser Glaube an Gott Gemeingut der Menschen unserer Zeit würde, dann würde es ihnen eine Freude, die Härten, die die neuen Verhältnisse im Gefolge gehabt haben, zu beseitigen, die Ursachen der Not zu verstopfen, sich gegenseitig als Brüder und Schwestern und Gottes Kinder anzusehen und zu behandeln. So vermag Luthers Geist und Luthers Glaube unserer Zeit das zu geben, was ihr fehlt, neues inneres Leben, neue Liebeskraft. Der Geist Luthers soll auch in diesem Gotteshause, zu dem wir den Grundstein legen, eine Stätte haben. Aus diesem Grunde wollen wir auch an unsere neue Kirche den Namen Luthers schreiben. Mit diesem Namen stehen wir aber fest auf dem Boden des Evangeliums Jesu Christi.
So legen wir denn heute den Grundstein zu dieser Kirche mit der herzlichen Bitte an Gott, dass er verleihen möge, dass die Predigt, die hier erschallt, getragen sei von Luthers Geist und von Christi Geist, dass von ihr Ströme neuen Lebens ausgehen in unsere Gemeinde, Menschenherzen beglücke und beselige, erneuere und tröste und erfülle mit der Liebeskraft die alles tut und alles wagt, dem Nächsten zu dienen."
Nach der Ansprache leitete der Evangelische Kirchengesangverein mit dem mächtigen Chor: "Vor dir, o Ewiger" zur eigentlichen Grundsteinlegung über. Pfarrer Dittmar, der Vorsitzende des Kirchenvorstandes, verlas hierauf die Urkunde und übergab sie dem Architekten, der dieselbe mit je einem Exemplar der hier erscheinenden Tageszeitungen und dem Festprogramm in einer Blechkapsel verlötete und dem Grundstein einverleibte. Der Grundstein, mit goldenem Kreuz und dem Datum des 18. August 1912 verziert, liegt unmittelbar am Haupteingang der Kirche unter der mittleren Säule, welche die beiden Eingangstüren voneinander trennt.
Die Urkunde ist von Herrn Rudolf Koch dahier auf Pergament geschrieben und hat folgenden Wortlaut:
"Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Nachdem im vorigen Jahre die vereinigte evangelische Gemeinde Offenbach a. M. den Bau der Friedenskirche im Westen unserer Stadt begonnen hat und demnächst zur Vollendung bringt, legt sie heute, am 18. August 1912, am 11. Sonntage nach Trinitatis den Grundstein zur Lutherkirche. Diese Kirche ist bestimmt, ein Sammelpunkt und eine Pflegestätte evangelischen Gemeindelebens für den Süden und Südosten unserer gewaltig sich ausdehnenden Stadt zu werden (...)
"Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Nachdem im vorigen Jahre die vereinigte evangelische Gemeinde Offenbach a. M. den Bau der Friedenskirche im Westen unserer Stadt begonnen hat und demnächst zur Vollendung bringt, legt sie heute, am 18. August 1912, am 11. Sonntage nach Trinitatis den Grundstein zur Lutherkirche. Diese Kirche ist bestimmt, ein Sammelpunkt und eine Pflegestätte evangelischen Gemeindelebens für den Süden und Südosten unserer gewaltig sich ausdehnenden Stadt zu werden und einen Ersatz zu bieten für die Christuskirche, die die hiesige altkatholische Gemeinde ein Jahrzehnt hindurch in brüderlichen Entgegenkommen für evangelische Gottesdienste zur Verfügung gestellt hat. Die Pläne hat der hessische Kirchenbaumeister Professor Pützer in Darmstadt entworfen. Die Ausführung der Bauarbeiten leitet der hiesige Architekt Walther. Gott segne das Vorhaben der Gemeinde, er segne diesen Bau und nehme in seinem allmächtigen Schutz alle, die mit ihrer Hände Fleiß an ihm wirken und schaffen.
Er sei mit allen, die ein- und ausgehen, und lasse die Predigt des Evangeliums in dieser neuen Kirche allezeit durchdrungen sein von Luthers Geist und Luthers Kraft. Er fülle die Herzen, die hier Erbauung suchen, mit dem fröhlich-kindlichen Vertrauen, wie es einst Luther beseelte, und er verleihe ihnen die unerschrockene männliche Kraft, die für das Evangelium alles wagt.
Gott segne unsere evangelische Gemeinde durch die Errichtung dieses Gotteshauses und lasse sie wachsen an dem, der unser aller Haupt ist, Jesus Christus. Amen.
Der Kirchenvorstand: Pfarrer Dittmar; Pfarrer Fuldat; Pfarrer Hofmeyer; Pfarrer Palmer; Pfarrer Müller; Pfarrer Matthäus; Pfarrassistent Page; Sanitätsrat Dr. Bachfeld, prakt. Arzt; v. Branconi, Major a. D.; Geibel, Schmiedemeister; Georgi, Ingenieur; Kämmerer, Färbereibesitzer; Keller, Lehrer; Kreuzer, Bäckermeister; Landmann, Oberamtsrichter; Porth, Beigeordneter; Roosen, Prokurist; Roth, Straßenmeister; Schaub, Schulrat. - Der Präsident des Großherzoglichen Oberkonsistoriums: D. Nebel. - Der Superintendent der Provinz Starkenburg: D. Dr. Flöring, Prälat. - Der Dekan des Dekanates Offenbach: Schuster. - Der Kreisrat des Kreises Offenbach: Lochmann. - Der Kirchenbaumeister: Prof. Pützer. - Der bauleitende Architekt: Walther."
Während der Einlegung der Urkunde in den Grundstein spielte der Posaunenchor eine Mottete. Nachdem noch Pfarrer Müller das Schlussgebet und Vaterunser gesprochen hatte, folgten in feierlicher Weise die Hammerschläge durch die Vertreter der verschiedenen Behörden.
Im Namen des Großherzoglichen Oberkonsistoriums führte Geheimrat Merck (Darmstadt) die Hammerschläge aus mit den Worten: "Zwei Lebensstützen brechen nie, Gebet und Arbeit heißen sie", Kreisrat Lochmann als Vertreter des Kreisamtes mit dem Spruche: "Eine feste Burg ist unser Gott".
Dekan Schuster (Dudenhofen): "Ein Grundstein, ein bewährter Stein, ein köstlicher Stein, der wohl begründet ist. Wer glaubt, der flieht nicht". Oberbürgermeister Dr. Dullo vollzog als Vertreter der Stadt die Hammerschläge mit dem Wunsch: "Möge diese Kirche immer dienen der Eintracht, dem Frieden und der brüderlichen Liebe in der Gemeinde".
Sanitätsrat Dr. Bachfeld sprach als Vertreter des Kirchenvorstandes: "Diese Stätte soll sein ein Haus des Gebetes zum Segen für uns und unsere Nachkommen".
Pfarrer Dittmar: "Herr wir sind zu gering der Barmherzigkeit und Treue, die du an uns tust".
Pfarrer Fuldat: "Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen im Geiste und in der Wahrheit anbeten".
Pfarrer Hofmeyer: "Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus".
Pfarrer Palmer: "Ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben".
Pfarrer Müller: "Herr, lass deine Augen offen stehen über diesem Hause Tag und nacht".
Pfarrassistent Page: "Wo der Herr nicht das Haus baut, da arbeiten umsonst die daran bauen. Ohne deine Gunst, alles bauen umsunst."
Pfarrer Lehn für die französisch-reformierte Gemeinde: "An welchem Ort ich meines Namens Gedächtnis stiften werde, spricht der Herr, will ich zu dir kommen und dich segnen".
Pfarrer Erb für die altkatholische Gemeinde: "Im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem Liebe. Zur Andacht, zum herzinnigen Vereine, versammle sich die liebende Gemeinde".
Beigeordneter Porth für den Kirchenbauverein: "Christi Glauben, Christi Liebe und Christi Hoffnung möge immer hier gepredigt werden".
Den Schluss der Reihe bildeten die Herren Professor Pützer (Darmstadt) mit den Worten: "Der Herr ist Geist, wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit"; der bauleitende Architekt Walther mit dem Wunsche: "Herr lass auf diesem Stein ein Gotteshaus erstehen, zum Wohle der Gemeinde, zur Zierde der Stadt Offenbach" und der Parlier Heinrich Ohl mit dem sinnigen Spruch: "Vom ersten bis zum letzten Stein schützt unsere Arbeit Gott allein".
Mächtig erklangen nach dem feierlichen Akt die Klänge des Lutherliedes "Eine feste Burg ist unser Gott" über den Platz dahin. Dann beschloss der Großherzogliche Dekan Schuster von Dudenhofen die eindrucksvolle Feier mit dem Segen. (...)
Pfarrer Arthur Müller
(Quelle: Arthur Müller, Zur Geschichte des Kirchbaus. in: Festschrift zur Erinnerung an den Tag der Einweihung der Lutherkirche zu Offenbach a. M. am 15. März 1914", Offenbach 1914)